Archiv für den Tag: 15. November 2015

“We’ll always have Paris”

Es gibt Ereignisse, die alles andere in den Hintergrund treten lassen. Die jüngste Anschlagsreihe in Paris war ein solches Ereignis. Bis tief in die Nacht konnte ich mich nicht von der Berichterstattung lösen. Dabei ging es aber ab einem gewissen Punkt nicht mehr um neue Informationen. Ich schaute weiter, um vielleicht irgendwann fassen zu können, was sich dort tat. Es gelang mir nicht. Zu erschütternd waren die Bilder, die mich aus der Stadt erreichten, die ich durch Klassenfahrten, Sport und private Momente zu lieben lernte. Zu unvorstellbar der Schmerz des Landes, in dem ich mehrere Jahre lebte und jährlich als Urlauber und Tourist zu Gast sein darf. Da rückt vieles in den Hintergrund. Sogar vermeintlich weiter entfernte Katstrophen wie die in Japan, oder andere Anschläge wie im Libanon. Und harmlosere Dinge erst recht. Erst durch eine Mail des Hotelportals HRS, die wir am gestrigen Tag nach den Anschlägen erhalten haben, wurde meiner Frau und mir wieder bewusst, dass wir für nächste Woche einen Wochenendtrip nach Paris geplant hatten. HRS bekundete in der Mail, für alle Kunden Verständnis zu haben, die unter den derzeitigen Umständen nicht mehr an ihrem Urlaub in Frankreich festhalten möchten. Daher biete man, so HRS, allen Kunden unabhängig ihrer jeweiligen Vertragsdetails eine kostenfreie Stornierung ihrer Buchung an. Das Gespräch mit meiner Frau darüber, ob wir an unseren Plänen für Paris festhalten sollten, dauerte noch keine Minute. Wir werden kommendes Wochenende erst recht nach Paris fahren, und länger bleiben als ursprünglich geplant.

@olpen

Natürlich muss jeder diese Entscheidung für sich selbst treffen. Ich würde niemandem einen Vorwurf machen, der eine geplante Reise jetzt absagt. Natürlich werden wir keine total gelassenen Tage dort verbringen können. Ein komisches Gefühl wird uns wohl stets begleiten. Aber wenn wir unsere Reise jetzt canceln würden, jetzt unser Handeln durch Angst bestimmen ließen, dann hätten die Terroristen gewonnen. Die Anschläge richteten sich gegen Orte, an denen Menschen gemeinsam Musik hören, an denen sie sich auf einen Kaffee treffen, oder Sport schauen. Sie richteten sich dagegen, dass in unserem Kulturkreis eine offene, freie Lebensweise gelebt wird. Gegen Toleranz, Gleichheit vor dem Gesetz und Aufklärung. Gegen die Freiheit, gemeinsam Spaß zu haben, Lebensfreude zu bewahren und bei großer individueller Freiheit als friedliche Gesellschaft zu leben. Diese Lebensweise ist es, die die Terroristen bekämpfen wollen.Wir sollten sie verteidigen, indem wir uns nicht von ihnen einschüchtern lassen und unsere Freiheit einschränken oder aufgeben, sondern sie leben. Das werden wir kommendes Wochenende in Paris tun. Das ist unsere Lehre aus den vergangenen Tagen.

Und politische Lehren? Zum einen zeigen die Anschläge sicherlich, dass es trotz aller Überwachung und Sicherheitsbemühung keine absolute Sicherheit gibt. Selbst in Frankreich nicht, und das obwohl es dort sowohl die Vorratsdatenspeicherung als auch umfassende Überwachungsbefugnisse gibt. Eine Lehre muss es da doch sein, auch neue Überwachungsgesetze in Deutschland hinsichtlich ihres Nutzens stets kritisch zu hinterfragen und vorsichtig mit Automatismen umzugehen. Und Lehren bezüglich unserem Umgang mit den Flüchtlingen? Ich finde, wir dürfen aus den Anschlägen jetzt nicht die Lehre ziehen, dass wir Flüchtlingen gar keine Zuflucht mehr bieten. Sie flüchten genau vor dem Terror, den wir in Paris erleben mussten. Hinzukommt, dass der sogenannte “Islamische Staat” uns gerade Angst davor machen will, Flüchtlinge aufzunehmen. Da er ein Eigeninteresse daran hat, diese Menschen in seinem Gebiet zu halten. Deshalb droht er damit, Attentäter als Flüchtlinge getarnt nach Europa zu schleusen. Wir sollten ihm nicht den Gefallen tun, in Syrien und dem Irak mehr Menschen als Geiseln nehmen zu können.

“Unsere Antwort wird mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit sein.”

(Jens Stoltenberg, damaliger Ministerpräsident, nach den Anschlägen in Norwegen)

Die zuständigen Entscheidungsträger sollten vielmehr eine internationale Lösung für die Verteilung der Flüchtlinge finden, und die Ursachen des Flüchtlingsstroms bekämpfen. Mit finanzieller Unterstützung derjenigen Länder, die derzeit im Umfeld Syriens die große Vielzahl an Flüchtlingen aufnehmen. Und mit einem koordinierten Vorgehen gegen den IS, der auch aufgrund seiner militärischen Erfolge so attraktiv für Rekruten zu sein scheint.

Und die Debatte über den unkontrollierten Flüchtlingszustrom nach Deutschland? Nun, es ist das gute Recht eines Staates zu wissen, wen er aufnimmt. Für viele behördliche Abläufe ist die Erhebung entsprechender Daten unverzichtbar, sie sollte vorgenommen werden. Dass dies lange nicht geschah, wird uns vielleicht auf kommunaler Ebene oder im Bereich des Sozialwesen noch vor Probleme stellen. Die Flüchtlinge können für die unterbliebenen Kontrollen jedoch nichts. Und mit den Anschlägen von Paris hat dies auch nichts zu tun. Insofern ist diese Debatte eine Scheindebatte. Sie wird weder den Ereignissen von Paris noch den Herausforderungen des Flüchtlingszustroms gerecht.

WP_20140302_005 (2)

Blog-Beitrag: “We’ll always have Paris”

WP_20140302_018 (2)Es gibt Ereignisse, die alles andere in den Hintergrund treten lassen. Die jüngste Anschlagsreihe in Paris war ein solches Ereignis. Bis tief in die Nacht konnte ich mich nicht von der Berichterstattung lösen. Dabei ging es aber ab einem gewissen Punkt nicht mehr um neue Informationen. Ich schaute weiter, um vielleicht irgendwann fassen zu können, was sich dort tat. Es gelang mir nicht. Zu erschütternd waren die Bilder, die mich aus der Stadt erreichten, die ich durch Klassenfahrten, Sport und private Momente zu lieben lernte. Zu unvorstellbar der Schmerz des Landes, in dem ich mehrere Jahre lebte und jährlich als Urlauber und Tourist zu Gast sein darf.

Da rückt vieles in den Hintergrund. Sogar vermeintlich weiter entfernte Katstrophen wie die in Japan, oder andere Anschläge wie im Libanon. Und harmlosere Dinge erst recht. Erst durch eine Mail des Hotelportals HRS, die wir am gestrigen Tag nach den Anschlägen erhalten haben, wurde meiner Frau und mir wieder bewusst, dass wir für nächste Woche einen Wochenendtrip nach Paris geplant hatten. HRS bekundete in der Mail, für alle Kunden Verständnis zu haben, die unter den derzeitigen Umständen nicht mehr an ihrem Urlaub in Frankreich festhalten möchten. Daher biete man, so HRS, allen Kunden unabhängig ihrer jeweiligen Vertragsdetails eine kostenfreie Stornierung ihrer Buchung an. Das Gespräch mit meiner Frau darüber, ob wir an unseren Plänen für Paris festhalten sollten, dauerte noch keine Minute. Wir werden kommendes Wochenende erst recht nach Paris fahren, und länger bleiben als ursprünglich geplant.

@olpen

Natürlich muss jeder diese Entscheidung für sich selbst treffen. Ich würde niemandem einen Vorwurf machen, der eine geplante Reise jetzt absagt. Natürlich werden wir keine total gelassenen Tage dort verbringen können. Ein komisches Gefühl wird uns wohl stets begleiten. Aber wenn wir unsere Reise jetzt canceln würden, jetzt unser Handeln durch Angst bestimmen ließen, dann hätten die Terroristen gewonnen. Die Anschläge richteten sich gegen Orte, an denen Menschen gemeinsam Musik hören, an denen sie sich auf einen Kaffee treffen, oder Sport schauen. Sie richteten sich dagegen, dass in unserem Kulturkreis eine offene, freie Lebensweise gelebt wird. Gegen Toleranz, Gleichheit vor dem Gesetz und Aufklärung. Gegen die Freiheit, gemeinsam Spaß zu haben, Lebensfreude zu bewahren und bei großer individueller Freiheit als friedliche Gesellschaft zu leben. Diese Lebensweise ist es, die die Terroristen bekämpfen wollen.Wir sollten sie verteidigen, indem wir uns nicht von ihnen einschüchtern lassen und unsere Freiheit einschränken oder aufgeben, sondern sie leben. Das werden wir kommendes Wochenende in Paris tun. Das ist unsere Lehre aus den vergangenen Tagen.

Und politische Lehren? Zum einen zeigen die Anschläge sicherlich, dass es trotz aller Überwachung und Sicherheitsbemühung keine absolute Sicherheit gibt. Selbst in Frankreich nicht, und das obwohl es dort sowohl die Vorratsdatenspeicherung als auch umfassende Überwachungsbefugnisse gibt. Eine Lehre muss es da doch sein, auch neue Überwachungsgesetze in Deutschland hinsichtlich ihres Nutzens stets kritisch zu hinterfragen und vorsichtig mit Automatismen umzugehen. Und Lehren bezüglich unserem Umgang mit den Flüchtlingen? Ich finde, wir dürfen aus den Anschlägen jetzt nicht die Lehre ziehen, dass wir Flüchtlingen gar keine Zuflucht mehr bieten. Sie flüchten genau vor dem Terror, den wir in Paris erleben mussten. Hinzukommt, dass der sogenannte “Islamische Staat” uns gerade Angst davor machen will, Flüchtlinge aufzunehmen. Da er ein Eigeninteresse daran hat, diese Menschen in seinem Gebiet zu halten. Deshalb droht er damit, Attentäter als Flüchtlinge getarnt nach Europa zu schleusen. Wir sollten ihm nicht den Gefallen tun, in Syrien und dem Irak mehr Menschen als Geiseln nehmen zu können.

“Unsere Antwort wird mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit sein.”

(Jens Stoltenberg, damaliger Ministerpräsident, nach den Anschlägen in Norwegen)

Die zuständigen Entscheidungsträger sollten vielmehr eine internationale Lösung für die Verteilung der Flüchtlinge finden, und die Ursachen des Flüchtlingsstroms bekämpfen. Mit finanzieller Unterstützung derjenigen Länder, die derzeit im Umfeld Syriens die große Vielzahl an Flüchtlingen aufnehmen. Und mit einem koordinierten Vorgehen gegen den IS, der auch aufgrund seiner militärischen Erfolge so attraktiv für Rekruten zu sein scheint.

Und die Debatte über den unkontrollierten Flüchtlingszustrom nach Deutschland? Nun, es ist das gute Recht eines Staates zu wissen, wen er aufnimmt. Für viele behördliche Abläufe ist die Erhebung entsprechender Daten unverzichtbar, sie sollte vorgenommen werden. Dass dies lange nicht geschah, wird uns vielleicht auf kommunaler Ebene oder im Bereich des Sozialwesen noch vor Probleme stellen. Die Flüchtlinge können für die unterbliebenen Kontrollen jedoch nichts. Und mit den Anschlägen von Paris hat dies auch nichts zu tun. Insofern ist diese Debatte eine Scheindebatte. Sie wird weder den Ereignissen von Paris noch den Herausforderungen des Flüchtlingszustroms gerecht. Widmen wir uns den wahren Herausforderungen und leben wir unsere Werte auch weiterhin. Beides ohne Angst.